Die Psalmvertonung „Laudate Pueri“ entstand auf Anregung von Martín Palmeri für dieses Konzert, da er sich wünschte, dass neben seinen Kompositionen auch solche von Ansgar Kreutz erklingen sollten. Da allerdings keines seiner bisherigen Stücke zu der Instrumentalbesetzung des Magnificats passte, musste ein neues Stück entstehen. Der Psalm 112/113 gehört zur Reihe der Psalmen der Sonntagsvesper und ist dementsprechend oft vertont worden. Die heutige Interpretation dieses alten Textes betont den enthusiastischen Charakter des Textes, der besonders im Kontrast zu den meditativen Passagen erkennbar wird. So wird das „sterilem“ als die Trauer über die eigene Unfähigkeit, kreativ zu sein, die eigenen Begrenzungen zu überwinden, die eigene geistige „Unfruchtbarkeit“ gedeutet. Dementsprechend groß ist der extatische Ausbruch über die „Freunde der Mutterschaft“, wenn es gelungen ist, diese Hindernisse zu überwinden.
„Wand´l ich in dem Wald des Abends“ ist Teil eines Zyklusses
von Orchesterliedern, der derzeit entsteht. Es behandelt die tiefe
Melancholie, wenn der Protagonist in den Worten von Heinrich Heine neben
seiner eigentlichen Bestimmung, die Liebe zu leben, ständig neben her
läuft, es ihm nicht gelingt, zu ihr zu kommen.
„Bleib nicht zulange im Schattengarten“ auf einen im vergangenen Jahr entstandenen Text der Lyrikerin Gundela Leenen ist die Aufforderung, nicht zulange der Vergangenheit nachzutrauern und sich mit alten Dingen zu plagen, aber das Gute daraus für sich mitzunehmen.
„Einen Menschen wissen“ ist ein aphoristisches Stück auf den
bekannten Text der Lyrikerin Marie von Ebner-Eschenbach, dass die Freude
und Gewissheit über das Zusammensein in Partnerschaft, Freundschaft und
Liebe zum Thema hat.
Wenn wir „Vier Jahreszeiten“ hören, denken wir an den bekannten
Zyklus von Violinkonzerten des italienischen Barockkomponisten Antonio
Vivaldi, die als Ideengeber sicherlich auch hier Pate gestanden haben.
Wichtiger als Anregung ist sicherlich der gleichnamige Zyklus von
Bandoneonkonzerten des Übervaters der Tango Nuevo, Astor Piazolla.
Dessen Zyklus wird weltweit immer wieder gespielt und Palmeri nahm diese
Gestaltungsidee auf und schrieb im Jahr 2004 eigene Stücke für ein
italienisches Ensemble mit einem Cello-Solo. Im vergangenen Jahr 2012
arbeitete Palmeri diese Stücke für den Solisten des heutigen Abends als
Bandoneonkonzerte um. Nach Meinung des Komponisten haben die Stücke
dadurch noch wesentlich gewonnen. Heute erklingen diese wunderbaren
Stücke erstmals in Deutschland.
Dieses Stück wurde für die beiden Solisten, die Flötistin
Sarah Rulli und ihren Lebensgefährten Mario Stefano Pietrodarchi
geschrieben und sollte ursprünglich im Mai dieses Jahres in einem
Konzert in Georgien uraufgeführt werden. Da dieses Konzert nicht
zustande kam, baten die Solisten und der Komponist darum, das Stück
heute uraufführen zu können. Einer Bitte, der wir gerne entsprochen
haben, denn sie erweitert das Programm heute durch eine weitere
spannende Nuance.
Der Lobgesang der Maria, das Magnificat gehört zu den zentralen
Texten der christlichen Liturgie. In der Bibel steht der Text im
Lukasevangelium, Lk 1,46-55, an der Stelle, als die schwangere Maria,
die Mutter Jesu, ihre Kusine Elisabeth, die ebenfalls mit dem „letzten
Propheten des alten Bundes“, Johannes dem Täufer, schwanger ist,
besucht, von dieser als vom Geist Begnadete angesprochen wird („Wer bin
ich, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt“) und darauf mit diesem
Lobpreis reagiert. Der Text zitiert Passagen aus den Psalmen, der
zentralen Gesang- und Gebetssammlung der Juden und der Christen, und
steht theologisch an der zentralen Stelle der Bibel in der sich
sämtliche Verheißungen Gottes an sein Volk und sämtliche Erwartungen
Israels im kommenden Erlöser Christus verwirklichen wollen. Es geht um
die Umkehrung aller bestehenden Situationen und Werte, ein radikaler,
revolutionärer Text, es ist überliefert, dass die russischen Zaren
traditionell Angst vor dem ihnen täglich verlesen Text gehabt haben
sollen.
Das Magnificat gehört in der christlichen Liturgie zum
täglichen Abendgebet, der Vesper und spielt als Verheißungstext in der
Adventszeit eine besondere Rolle. Dementsprechend sind auch viele
Vertonungen des Textes weihnachtlichen oder vorweihnachtlichen
Charakters. In Warendorf hat dieser Text eine besondere Bedeutung, denn
er ist der Evangeliumstext zum Fest Mariae Himmelfahrt, das hier in
singulärer Weise begangen und gefeiert wird. So hat die Marienkantorei
in den vergangenen Jahren auch verschiedenste Magnificatvertonungen u.a.
von Johann Sebastian Bach, John Rutter, Antonio Vivaldi, Ansgar Kreutz,
John Stainer, Heinz Martin Lonquich und Alan Wilson gesungen.
So bot es sich an, im Vorfeld zu Mariae Himmelfahrt die neue
Vertonung dieses Textes durch Martín Palmeri einzustudieren. Es ist für
einen Komponisten immer eine besondere Herausforderung, sich einem Text
zu stellen, der schon so oft, in derartig fantastischer Weise vertont
worden ist. Palmeris Version bringt nun eine vollkommen neue Farbe in
den Reigen der großen Vorgängerwerke. Ausdrücklich nimmt die Komposition
Bezug auf die Tradition, versichert sich ihrer eigenen historischen
Wurzeln, so ist immer wieder der Erinnerung an Bachs großartige Adaption
zu spüren. Palmeri versteht, diesen Traditionsbezug in origineller Weise
mit der Tradition des Tangos zu verbinden. Beide Formen werden dabei
aufgebrochen und aus der Verbindung von eigentlich kaum Verbindbaren
entsteht eine lebendige Kreation, die in ihrer Weise einmalig ist. Der
Tango nuevo, wie er durch Astor Piazolla etabliert wurde, ist eine Form
des Tangos, der nicht als Tanzmusik gedacht ist sondern ähnlich der Art
und Weise wie auch Chopins Walzer nicht zum Tanzen, sondern eine
poetische Assoziation an den Tanz als elementare Ausdrucksform des
Menschen gedacht und empfunden waren, geschieht dies auch mit dem quasi
literarischen Tango. Das Revolutionäre und Radikale des
Magnificat-Textes, die extatische Freude über die grundlegende
Veränderung des Lebens durch die eingreifende, schöpferische Kraft
Gottes findet in der Adaption durch die musikalischen Formen des Tangos
einen adäquaten Ausdruck.